Projekt zur Förderung der seltenen Artenreichen Pfeifengraswiesen auf Zielgeraden

Auspflanzungen von Pflanzenarten-Nachzuchten vervollständigen die Lebensgemeinschaften

Aurich. – Das im Jahr 2020 begonnene Projekt zur Förderung artenreicher Feuchtwiesenlebensräume in ausgewählten Schutzgebieten im Landkreis Aurich geht derzeit auf die Zielgerade. Die Auspflanzung von rund 20.000 Exemplaren von aus Saat gezogenen Jungpflanzen in die für sie vorbereiteten Lebensräume markiert aktuell einen der Höhepunkte des Projektes. Insgesamt wurden Jungpflanzen von zehn sehr seltenen Pflanzenarten der Feuchtwiesen ausgepflanzt, deren Saat in ostfriesischen Herkunftsgebieten im Vorjahr geerntet worden war. Weitere seltene Arten wurden mit Erfolg durch Direktsaat in die Empfängerflächen gebracht. Zwölf Helfer und Helferinnen brachten die kostbaren Gewächse nun unter Aufsicht des vom NABU Niedersachsen beauftragten Projektleiters Uwe Gerhardt sowie unter Anleitung des ebenfalls beauftragten Botaniker Dr. Dierk Kunzmann in die Erde. 13 Hektar Feuchtwiesen konnten darüber hinaus inzwischen durch Mähgutüberragungen aufgewertet werden.

 

Artenreiche Nasswiesen-Lebensraumkomplexe sind heutzutage aufgrund von Entwässerung, Düngung oder Aufgabe der landwirtschaftlichen Nutzung sehr selten. Durch ihren im guten Zustand besonderen Artenreichtum haben sie einen hohen ökologischen Wert. Besondere Beachtung kommt im Landkreis Aurich dem Lebensraumtyp „Artenreiche Pfeifengraswiese“ sowie dem Biotoptyp „Sumpfdotterblumenwiese“ zu. Daher hatte die Ökologische NABU-Station Ostfriesland (ÖNSOF) im Jahr 2020 mit Förderung durch das Land Niedersachsen, die EU sowie den Landkreis Aurich ein speziell ihrer Förderung gewidmetes Projekt ins Leben gerufen (Förderprogramm EELA = „Erhalt und Entwicklung von Lebensräumen und Arten“). Projektträger ist der NABU Niedersachsen, die Projektleitung wurde dem Auricher Planungsbüro von Uwe Gerhardt übertragen.

„Ziel des Projektes ist es, die letzten verbliebenen Reste von Pfeifengras- und Sumpfdotterblumenwiesen zu retten und aus potenziellen Flächen rund um das Große Meer in der Gemeinde Südbrookmerland neue Wiesen mit aus historischer Sicht vollständigem Arteninventar zu entwickeln.“ hebt Projektleiter Uwe Gerhardt hervor. So soll ein artenreicher, für den Naturschutz wichtiger Wiesenring an für diese Lebensräume besonders geeigneten Stellen rund um das Große Meer entstehen.

Seit Herbst 2020 laufen nun Maßnahmen für den Erhalt und die Entwicklung von Pfeifengras- und Sumpfdotterblumenwiesen am Großen Meer. Im ersten Schritt wurde ermittelt, in welchem Zustand sich die verbliebenen Flächen befinden und wo Flächen mit Potenzial liegen. „Pfeifengraswiesen sind gekennzeichnet durch das Vorhandensein bestimmter Pflanzenarten wie beispielsweise die Englische Kratzdistel, der Teufelsabbiss, Sumpfveilchen, Knäuelbinse oder Hirsesegge.“ erläutert der Pfeifengraswiesen-Experte Dr. Kunzmann.

Bei der Pflege und Entwicklung der Pfeifengraswiesen kommen verschiedene Methoden zum Einsatz. Gehölze und Büsche wurden teilweise entfernt. Ausgestochene Soden zum Beispiel von Sumpfveilchen wurden auf Spenderflächen gewonnen und in Potenzialflächen eingesetzt. Andere seltene Arten wurden aus Saatgut gezogen und – so wie jetzt aktuell - als junge Pflanzen in die Potenzialflächen gesetzt. Einige geeignete Flächen wurden für Saatübertragungen vorgesehen. „Hier wird Mahdgut von artenreichen Spenderflächen auf ein speziell vorbereitetes Saatbett aufgebracht.“ betont Petra Wiese-Liebert als weitere im Projekt beteiligte Fachgutachterin. Ziel sei es, dass sich seltene Arten, deren Samen aus dem aufgetragenen Heu fallen oder die nach einer Saaternte direkt ausgesät werden, wieder auf den Empfängerflächen ansiedeln.

Künftig sollen die instand gesetzten Flächen extensiv als Wiesen und Weiden genutzt werden. Hierum wird sich dann wieder verstärkt die ÖNSOF in Zusammenarbeit mit den bewirtschaftenden Landwirten sowie den Naturschutzbehörden kümmern.

 

Hintergrund

 

Eine jahrtausendelange extensive Bewirtschaftung und eine naturnahe Beweidung mit Nutztieren führten zu einer heute kaum noch vorstellbaren biologischen Vielfalt in Mitteleuropa. Doch von etwa 1900 - 1950 fand in Norddeutschland ein Übergang zur einzelbetrieblichen Intensiv-Weidewirtschaft statt. Die alten Mehrfachnutzungen von Äckern, Wiesen und Wäldern wurden aufgehoben. Die nahezu flächendeckende Abschaffung der naturnahen Beweidung und Bewirtschaftung verursachte einen Einbruch der Biodiversität der mitteleuropäischen Kulturlandschaften, der bis heute andauert. Der Wandel vollzieht sich schleichend und der stetige Verlust an biologischer Vielfalt wird aus der Perspektive eines kurzen Menschenlebens oft unterschätzt.

Alte und neuere Schriftquellen lassen darauf schließen, dass Lebensraumkomplexe mit „Artenreichen Pfeifengraswiesen“ und „Sumpfdotterblumenwiesen“ ursprünglich auf großer Fläche in den Bereichen der Vogelschutzgebiete „Fehntjer Tief“ und „Ostfriesische Meere“ weit verbreitet waren. Heute ist der Erhaltungszustand in Niedersachsen und Deutschland insgesamt schlecht und aufgrund der Bedeutung von Ostfriesland als Verbreitungsschwerpunkt „Artenreicher Pfeifengraswiesen“ kommt der Region eine besondere Verantwortung zu. Der Schutz, die Qualitätssicherung und die Entwicklung der Vorkommen kann einen wesentlichen Beitrag zur Bestandssicherung einer Vielzahl stark bedrohter Arten leisten.

 

Der häufig schlechte Zustand der verbliebenen Flächen des Biotoptyps „Sumpfdotterblumenwiese“ steht im engen Zusammenhang mit dem bedrohlichen Rückgang nasswiesenbewohnender Vogelarten wie der Bekassine. Er hat auch eine erhebliche Bedeutung für die Brutvorkommen von Uferschnepfe und Rotschenkel. Somit sind die „Sumpfdotterblumenwiesen“, auch mit Blick auf den Erhaltungszustand der Wiesenvogelarten, von hoher Bedeutung.

 

Die Vorbereitung und Begleitung des Projektes sind Bestandteil der Schutzgebietsbetreuung. Die Ökologische NABU-Station Ostfriesland (ÖNSOF) unterstützt die Unteren Naturschutzbehörden der Landkreise Aurich und Wittmund sowie der Stadt Emden bei Aufgaben der Vor-Ort-Gebietsbetreuung von Schutzgebieten mit einer Gesamtfläche von über 30.000 ha. Für diese Arbeit wird der NABU Niedersachsen als Träger der Ökologischen Station durch das Land Niedersachsen gefördert. Grundlage der Förderung ist seit dem Jahr 2018 eine Kooperationsvereinbarung mit den Landkreisen bzw. der Stadt Emden sowie eine einvernehmliche Abstimmung der Arbeitspläne. Der Sitz der Ökologischen Station befindet sich in Wiegboldsbur. 

 

 

Für Rückfragen:

 

Michael Steven, Leiter der Ökologischen NABU-Station Ostfriesland, Tel.: 0172-5146633, E-Mail: Michael.Steven@NABU-Station-Ostfriesland.de

 

Meldung vom 05.10.2022